Eastcoast: New York und Boston
19. bis 25. September 2019
Schon die Taxifahrt nachmittags vom New Yorker John F. Kennedy Airport nach Manhattan erforderte eine erste Umstellung. Fahrer- und Rücksitz waren durch eine fest installierte Glasscheibe getrennt. Hinter dieser war am Vordersitz ein Kreditkartenautomat für die Taxigebühr angebracht. Darüber stand die ermunternde Inschrift: Assaulting the taxi driver will be punished with 25 years of prison. Es fehlte nur noch der Zusatz darunter: Welcome to New York. Bald tauchten auch schon die Hochhausschluchten von Manhattan auf, mit meinem Hotel in unmittelbarer Nähe des Empire States Building an der Fifth Avenue, welches während meiner Kindheit noch als das höchste Gebäude der Welt ausgewiesen war.
Am Folgetag ein Lunchgespräch in der Residenz des deutschen Generalkonsuls David Gil u.a. mit Vizebundestagspräsident Thomas Oppermann, dem jetzt in New York lebenden Schriftsteller Daniel Kehlmann und amerikanischen Gästen. Es ging hauptsächlich um die Krise der seitens der jetzigen Washingtoner Administration zunehmend unterwanderten, aber nach wie vor ihre Resistenz behauptenden amerikanischen Demokratie, die schwierige Rolle der Demokratischen Partei, die unmittelbar bevorstehende Klimakonferenz der Vereinten Nationen hier in New York mit Greta Thunbergs angekündigtem Großauftritt. Abends dann mein erster Auftritt mit dem Vortrag in der 1014, im Gebäude des früheren Goethe-Instituts gegenüber dem Metropolitan Museum an der Park Avenue. Ein vornehmes, wenngleich sanierungsbedürftiges und ein bisschen wie ein Spukschloss wirkendes Stadthaus mit heller, gegliederter Kalksteinfassade, Holzvertäfelung und historischen Stuckaturen, Eichentüren und ramponiertem Parkett. Nach der gründlichen und zeitaufwendigen Wiederinstandsetzung des Hauses mit Mitteln der Bundesregierung soll die dortige, ansatzweise jetzt schon begonnene Arbeit mit regelmäßigen Kulturveranstaltungen und Ausstellungen voll aufgenommen werden. Vergleichbar mit dem transatlantischen Residenzprogramm des Thomas Mann House an der Westküste wird auch dort ein transatlantisches und letztlich transkontinentales Leuchtturmprojekt als Netzwerk entstehen mit internationalem Austausch auf künstlerischer, intellektueller und kulturpolitischer Ebene. Mein großer Wunsch wäre eine langfristig enge Vernetzung zwischen dieser Academy, dem Thomas Mann House und möglichst vielen anderen, sich für Dialog, Demokratie und Friedensarbeit engagierenden Institutionen innerhalb und außerhalb der USA.
Interessant war nach meinem auf große Resonanz stoßenden Abendvortrag eine Bemerkung der 1014-Leiterin Katja Wiesbrock Donovan, wonach ihre in den USA lebenden Freunde nach dem Schock der Wahl Trumps mehrheitlich geschworen hätten, möglichst bald aus den USA auszuwandern, dieses Vorhaben sei jedoch von Keinem bisher realisiert worden.
Boston erwies sich als sehr viel ruhigeres, fast beschaulich ländlich wirkendes Pflaster. Die Brandeis University unweit in Waltham gastfreundlich und mit didaktisch hochkompetentem Lehrkörper sowie einem politisch erkennbar noch leidenschaftlicheren Einsatz der Menschen für eine humanistische und demokratische Ausrichtung politischen Handelns.
Was mir an beiden Orten, besonders in Manhattan, noch auffiel, war die zunehmend auftauende natürliche Herzlichkeit und spontane und kreative Kooperationsbereitschaft von Angestellten einfachster hispanischer und afrikanischer Herkunft in Hotels, Restaurants und Shops, sobald diese eine ihnen aufrichtig entgegengebrachte persönliche Wertschätzung spürten.